Gaza nach einem Monat Krieg

Seit über einem Monat herrscht Krieg in Gaza. Die Zivilbevölkerung kämpft verzweifelt ums Überleben. Ständige Bombardierungen und der Mangel an Wasser, Nahrung, Medikamenten und sicheren Unterkünften machen das Leben der Menschen extrem schwierig.

Mehr als 23.100 Menschen haben in Gaza ihr Leben verloren, darunter mehr als 8.500 Kinder. Weiterhin wurden mehr als 2 Millionen Menschen zu Binnenvertriebenen, nach der Anordnung einer Evakuierung in den südlichen Gazastreifen. Zehntausende weitere Menschen wurden verletzt, und die Unterbrechung der Kommunikation hat die Bevölkerung in Ungewissheit über das Wohlergehen ihrer Angehörigen versetzt.

Am 9. Oktober wurde eine “totale Blockade” des Gazastreifens verhängt, die die bereits seit 16 Jahren andauernde Blockade weiter verschärfte und für fast zwei Wochen den Zugang zu Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff von ausserhalb des Gazastreifens verhinderte. Am 21. Oktober wurde die Lieferung von Hilfsgütern in begrenztem Umfang wieder aufgenommen, doch ist dies nur ein Bruchteil dessen, was benötigt wird, und die Lieferung von Treibstoff ist nach wie vor nicht gestattet.

Aufrufe zu einem Waffenstillstand blieben bislang unbeantwortet und ein scheinbares Ende der Gewalt ist nicht in Sicht.

Die Situation in Gaza nach einem Monat Krieg

Hungersnot macht sich breit

Obwohl kürzlich einige Hilfsgüter, einschliesslich Lebensmittel, nach Gaza gebracht wurden, sind die Mengen bei weitem nicht ausreichend, um den Bedarf der Gemeinden zu decken. Die gelieferten Hilfsgüter liegen weit unter dem, was vor der Eskalation in die Enklave geliefert wurde. Der Mangel an Treibstoff beeinträchtigt Unternehmen wie Bäckereien und Lebensmittelgeschäfte. Die Menschen stehen stundenlang an, um Brot zu kaufen, was mit erheblichen Risiken verbunden ist. Viele Bäckereien wurden gezwungen zu schliessen, da es ihnen an Treibstoff für den Betrieb ihrer Öfen fehlt. Zusätzlich wurden mindestens 11 durch Bombenangriffe zerstört.

Die einzige funktionierende Mühle in Gaza ist derzeit ausser Betrieb. Grund dafür ist der fehlende Strom. Somit sind nur die Vertragsbäckereien des UN-Welternährungsprogramms (WFP) und einige wenige Bäckereien ausserhalb des nördlichen Gazastreifens in der Lage, die Menschen für begrenzte Zeit mit Brot zu versorgen.

Für Ladenbesitzer werden die Vorräte an Lebensmitteln immer knapper und die Preise steigen. Trotz der Verfügbarkeit von Lebensmitteln in den Lagern haben die Geschäfte Probleme, sich zu versorgen, da die Fahrt inmitten der Bombardierungen gefährlich ist und der Treibstoff für die Fahrzeuge fehlt.

Für viele Familien ist die Situation hoffnungslos, und jede weitere Woche erfordert unendliche Geduld und Einfallsreichtum, um Nahrungsmittel zu beschaffen und so lange wie möglich haltbar zu machen. Der Mangel an Strom hat zur Folge, dass gefrorene und gekühlte Produkte nicht aufbewahrt werden können, während der Mangel an Treibstoff die Möglichkeit zum Kochen stark einschränkt.

Da die Wasserversorgung extrem eingeschränkt und streng rationiert ist, sind die Familien gezwungen, genau zu überlegen, was sie sicher zubereiten können und wofür sie das Wasser verwenden. Jeder Versuch, Lebensmittel einzukaufen, ist mit Gefahren verbunden, und viele Menschen lassen Mahlzeiten aus, um ihre Vorräte zu sparen.

Wohin flüchten?

Derzeit scheint es in Gaza keinen sicheren Zufluchtsort zu geben. Gaza-Stadt und die nördlichen Gebiete wurden bombardiert, während die südlichen Gebiete trotz eines israelischen Evakuierungsbefehls, in den Süden zu ziehen, ebenfalls zum Ziel wurden.

Zu den Gebäuden, die durch die Bombenangriffen zerstört oder schwer beschädigt wurden, gehören Flüchtlingslager, Krankenhäuser und Schulen, in denen Vertriebene untergebracht sind.

Die Unterkünfte sind extrem überfüllt, und es wird befürchtet, dass es zu Ausbrüchen von Windpocken, Darm- und Atemwegsinfektionen kommen könnte. Die massive Vertreibung von Menschen in den Süden hat die Ressourcen der Region zusätzlich unter Druck gesetzt. Die Lage ist so ernst, dass einige Menschen trotz der Gefahr wieder in den Norden zurückgekehrt sind.

Etwa 1,5 Millionen Menschen in Gaza sind Binnenvertriebene.

Wohin flüchten?

Wasser, ein knappes, aber lebenswichtiges Gut

Gaza leidet seit Jahren unter Wassermangel, aber die aktuelle Eskalation hat die Situation noch verschlimmert. Das meiste Wasser in Gaza ist durch ungeklärte Abwässer und Salzwasser verseucht. Ohne Treibstoff kann die einzige Entsalzungsanlage der Enklave nicht betrieben werden.

In Gaza gibt es kein Wasserversorgungsnetz, an das die Gebäude angeschlossen wären. Stattdessen verfügen sie über Wassertanks, die regelmässig aufgefüllt werden müssen. Ohne Strom oder Treibstoff kann das Wasser weder zu den Tanks transportiert noch von den Tanks zu den Wasserhähnen, Duschen und Leitungen geleitet werden.

Vor der Eskalation verteilten Tanklastwagen Wasser an Häuser und andere Gebäude, aber durch die Bombardierungen wurde es für die Fahrer zu gefährlich, ihre Lastwagen aufzufüllen, geschweige denn ihre üblichen Routen zu befahren. Selbst ohne die Bombenangriffe wäre der Mangel an Treibstoff eine grosse Herausforderung.

Viele Gebäude in Gaza verfügen über Brunnen, aber ohne Strom ist es fast unmöglich, das Wasser aus den Brunnen in die Wassertanks der Gebäude zu pumpen. Generatoren werden in Gaza seit langem eingesetzt, um die Lücken in der Stromversorgung zu füllen. Allerdings haben die Menschen jetzt Schwierigkeiten, Treibstoff für die Generatoren zu finden.

Selbst wenn es den Menschen gelingt, Wasser aus einem Brunnen zu schöpfen, ist es meist nicht trinkbar. Der Wassermangel betrifft nicht nur das Trinkwasser: Ohne sauberes Wasser können Krankenhäuser keine hygienischen Bedingungen aufrechterhalten, Bauern ihre Felder nicht bewässern und ihre Tiere nicht versorgen. Für die überwiegend muslimische Bevölkerung in Gaza hat Wasser auch eine spirituelle Bedeutung da es für die rituellen Waschungen vor dem Gebet benötigt wird.

Sieben Wasseranlagen im gesamten Gazastreifen wurden schwer beschädigt, darunter drei Abwasserleitungen und zwei Wasserspeicher. Die Behörden warnten vor einer drohenden Überflutung der Kanalisation in Gaza-Stadt.

Wenn der Treibstoff zu Ende geht, ist das ein Todesurteil

Ohne Treibstoff ist es unmöglich, in Gaza auch nur ansatzweise ein funktionierendes Versorgungsnetz aufrechtzuerhalten. Seit vielen Jahren sind die Menschen gezwungen, sich an die häufigen Probleme mit der Stromversorgung anzupassen. Generatoren sind zu einer üblichen Notlösung geworden, wenn die Hauptstromversorgung ausfällt.

Derzeit gibt es jedoch keinen Treibstoff, um diese Generatoren zu betreiben, und die Menschen sind komplett ohne Strom, es sei denn, sie haben Zugang zu Solarpaneelen. Einige von diesen wurden bei militärischen Bombenangriffen jedoch ebenso beschädigt.

Ohne Strom können die Menschen ihre Telefone nicht aufladen, um mit ihren Angehörigen in Kontakt zu bleiben. Sie können keine Nachrichten empfangen und keine Hilfe rufen. In Krankenhäusern werden Operationen bei Taschenlampenlicht durchgeführt, und Patienten, die zum Überleben auf Geräte wie Dialysegeräte, Beatmungsgeräte und Inkubatoren angewiesen sind, befinden sich in Lebensgefahr.

Den Fahrzeugen, darunter Krankenwagen, Fahrzeuge der Hilfsorganisationen und Wassertankwagen, geht der Treibstoff aus und es besteht wenig Hoffnung, dass sie in naher Zukunft aufgetankt werden können. Für die Menschen wird es immer schwieriger, das zu finden, was sie brauchen – von Brot bis zu Babywindeln -, da sie sich auf ein Gebiet beschränken müssen, das sie zu Fuss erreichen können.

Die Müllwagen haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen, so dass sich der Abfall auf den Strassen stapelt und ein Gesundheitsrisiko darstellt. Mindestens 25 Abwasserpumpstationen in Gaza-Stadt haben ihren Betrieb eingestellt. Seit Beginn der Eskalation verweigert Israel die Einfuhr von Treibstoff nach Gaza. Es wird argumentiert, dass Treibstoff eine «doppelte Verwendung» hat, was bedeutet, dass er sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden kann, weshalb die Einfuhr nach Gaza verboten ist.

Gesundheitsfürsorge

Bereits vor der Eskalation stand das Gesundheitssystem in Gaza kurz vor dem Zusammenbruch. Im vergangenen Monat mussten 14 der 35 Krankenhäuser ihren Betrieb einstellen und mehr als 70 % aller Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung in Gaza wurden aufgrund von Schäden oder Treibstoffmangel geschlossen.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation gibt es in Gaza ca. 50.000 schwangere Frauen und über 180 Geburten pro Tag.

Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Dutzende von mobilen Gesundheitsteams im gesamten Gazastreifen tun ihr Bestes, um die wachsende Zahl von verwundeten Patienten und vertriebenen Familien zu behandeln.

Jedoch arbeiten sie weit über ihre Kapazitäten hinaus, und das Personal leidet unter den körperlichen und geistigen Strapazen, die die Behandlung dieser grossen Anzahl an Verletzten mit sich bringt.

Was tut Islamic Relief

Die Lage in Gaza ist extrem gefährlich und das Team von Islamic Relief und seine Partner vor Ort sehen sich mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert. Sie haben selber Angehörige verloren, sind vertrieben worden und leben unter der ständigen Bedrohung von Bombenangriffen.

Trotz dieser unglaublich schwierigen Bedingungen bieten unsere Mitarbeiter und Partner den Bedürftigen in Gaza weiterhin einen Rettungsanker, wann immer dies sicher möglich ist.

Islamic Relief unterstützt bedürftige und vertriebene Familien in der südlichen Stadt Khan Younis, in Rafah nahe der ägyptischen Grenze und im zentralen Gazastreifen. Mit Lebensmittelpaketen, frischem Gemüse, warmen Mahlzeiten und Gutscheinen für den Kauf von Lebensmitteln konnten wir bereits Zehntausenden Menschen helfen. Ausserdem konnten wir Wasser, Hygienepakete und Decken verteilen. In mehreren Unterkünften boten wir über 4.500 Kindern eine Auszeit mit Spielen und Unterhaltung, um sie von ihrer extrem belastenden Situation abzulenken. Wir haben das Geld an die Waisenkinder überwiesen, die wir im Rahmen unseren bestehenden Patenschaftsprogrammen in Gaza unterstützen, um ihnen in dieser kritischen Situation beim Kauf von Hilfsgütern oder bei der Suche nach einer Unterkunft zu helfen. Ebenso unterstützten wir die Gesundheitseinrichtungen mit fast 2,3 Millionen medizinischen Hilfsgütern, um die wachsende Zahl der verwundeten Patienten zu behandeln.

Sofortiger Waffenstillstand

Nebst der Unterstützung der Menschen vor Ort fordert Islamic Relief die Einhaltung des Völkerrechts und einen sofortigen Waffenstillstand. Ausserdem fordern wir einen kontinuierlichen, umfangreichen und ungehinderten Zufluss von Hilfsgütern über die ägyptische Grenze und die sofortige Aufhebung des Verbots von Treibstofflieferungen.

Alle Parteien haben die Pflicht, die Zivilbevölkerung vor Angriffen zu schützen, zivile Infrastruktur nicht ins Visier zu nehmen und sicherzustellen, dass die Zivilbevölkerung Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wasser, Nahrung und Elektrizität hat. Diese Pflicht wird derzeit eindeutig nicht erfüllt. Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass die Bewohner des nördlichen Gazastreifens gezwungen wurden, in den Süden zu fliehen, ohne dass sichere Wege eingerichtet wurden. Kein Ort in Gaza ist sicher.

Die internationalen Regierungen werden aufgefordert:

  • Zu einem sofortigen Waffenstillstand, um der Rettung von Menschenleben Vorrang zu geben. Wir appellieren erneut an alle Parteien, ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten einzuhalten.
  • Dass Israel die Belagerung des Gazastreifens umgehend beendet und sicherstellt, dass humanitäre Hilfe gemäss den Grundsätzen der humanitären Hilfe bei Bedürftigen sicher ankommt. Israel muss zudem den sicheren und ungehinderten Zugang zu Wasser, Nahrungsmitteln und anderen humanitären Bedürfnissen nach Gaza gewährleisten und Treibstoff zulassen, um den Betrieb von Krankenhäusern, Bäckereien und Wasseraufbereitungsanlagen zu ermöglichen. Israel sollte die Verteilung lebenswichtiger Hilfsgüter wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff in Gaza zulassen und sicherstellen, dass die Strom- und Internetversorgung wiederhergestellt wird. Ausserdem muss gewährleistet werden, dass humanitäres und medizinisches Personal seine lebensrettende Arbeit sicher ausführen kann.

 

  • Alle Parteien müssen sich an das Völkerrecht halten und sicherstellen, dass Zivilisten vor Schaden geschützt werden; gezielte Angriffe auf Zivilisten oder zivile Infrastruktur sind verboten, und alle Parteien müssen den Zugang der Zivilbevölkerung zu lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser, Nahrung und Elektrizität gewährleisten.
  • Erhöhung der humanitären Hilfe für Gaza, um den dringenden Bedarf zu decken und Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, um sicherzustellen, dass die Regierungen die Hilfsorganisationen, welche in der Krise tätig sind, weiterhin finanzieren.
  • Gewährleistung der Sicherheit der humanitären Helfer im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht durch die Ermöglichung und den Schutz derjenigen, die in Gaza Hilfe leisten.